Es war einmal…

Es war einmal

Mit diesen Worten beginnt eine Fantasiereise durch die Seiten eines Buches. Sie sind auch das Leitmotiv des vorliegenden Programms, denn jedes der Werke bezieht sich auf eine Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischt sind.

Die Suite in c-Moll BWV 997 von J.S. Bach eröffnet das Programm, ohne eine solche Beziehung aufzuzeigen. Gegliedert in 4 Sätze nach dem Schema der Sonata da chiesa, beginnt es mit einem Präludium, feierlich und im langsamen Tempo. Der zweite Satz ist eine Fuge, in der das Hauptthema auch in Umkehrung erscheinen wird. Man kann eine enge rhythmische Verwandtschaft mit dem Fugato-Thema des 4. Satzes der Triosonate des Musikalischen Opfers erahnen. Die Sarabande entführt uns in Bachs Mystik, in ein Stück von außergewöhnlicher Schönheit. Der Beginn seines Themas ist dem Schlusschor der Matthäus-Passion "Wir setzen uns mit Tränen nieder" sehr ähnlich. Das Werk endet mit einer Gigue, die sich mit einem Double abwechselt.

Diese Suite ist Gegenstand erheblicher Zweifel an ihrer Herkunft. Es sind zwei Manuskripte, die es auf zwei Notensystemen geschrieben präsentieren, ohne seine instrumentale Besetzung zu spezifizieren, die Cembalo solo sein könnte, bekannt. Des Weiteren gibt es 16 verschiedene Kopien aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die für die Laute geschrieben wurden. Der Musikwissenschaftler Philipp Spitta hielt es für zweifelhaft, dass es sich um ein Werk für Cembalo handelt und meint, dass es sich um eine Reduktion eines Werkes für andere Instrumente handelt. Letztlich ändert die Existenz solcher Rätsel nichts an der einzigartigen Schönheit des Werkes (in jeder der möglichen Versionen). Nicht umsonst war es Bachs Gewohnheit, seine eigene Musik zu transkribieren und neu zu instrumentieren.

Aber abgesehen von seiner unsicheren Instrumentierung scheint es keinen Bezug zum Phantastischen zu haben. Ein tieferer Blick, speziell auf seine Fuge, offenbart jedoch eines der Wunder der Mathematik, welches im Laufe der Jahrhunderte das meiste Erstaunen hervorgerufen hat: der Goldene Schnitt.

Die "Phi-Zahl" (φ) (nach dem Bildhauer Phidias, Dekorateur des Parthenon), ist auch als "Goldene Zahl", "Sectio aurea", "Göttliche Proportion" oder "Proportio divina" bekannt.

Sie wurde erstmals von Euklid in seinen Elementen (ca. 300 v. Chr.) erwähnt. Es bezeichnet das eindeutige Verhältnis zwischen zwei Strecken a und b, so dass das Verhältnis zwischen der Summe der beiden Strecken (a+b) und dem größeren (a), gleich dem Verhältnis zwischen dem größeren (a) und dem kleineren (b) ist. Dies entspricht der folgenden Gleichung:

 

Imagen 1

Das Verhältnis a/b ist gleich der Goldenen Zahl. 

Die Zahl φ steht im Zusammenhang mit der Fibonacci-Folge (eine Reihe von Zahlen, von denen jede die Summe der beiden vorangehenden Zahlen ist), denn wenn man die Teilung zweier Zahlen in der Reihe betrachtetkann man sehen, dass sie zur Zahl φ tendieren. Je weiter man in der Fibonacci-Folge fortschreitet, desto kleiner wird die Differenz und desto mehr tendiert das Verhältnis der beiden aufeinanderfolgenden Zahlen (die größere / kleinere) zum Wert der Zahl φ = 1,6180.

 

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Obwohl seine Definition abstrakt ist, ist die Anwendung des Goldenen Schnitts wichtig in der Architektur, Malerei, Bildhauerei und anderen Künsten, die dazu neigen, das Ideal der Schönheit mit Symmetrien und Proportionen zu verbinden. In der Musik wurde es mit strukturellen Motiven von Komponisten wie Bartok oder Xenakis verwendet. Obwohl keine dokumentarische Belege vorhanden sind, nehmen zahlreiche Musikwissenschaftler an, dass auch andere bekannte Komponisten wie Beethoven, Mozart und Haydn die "göttliche Proportion" benutzten, um relevante Momente in ihren Werken zu lokalisieren. Bach ist, wie erwartet,  keine Ausnahme.

Wenn wir uns an die Suite BWV 997 und speziell an ihre Fuge halten, können wir folgende Beziehungen finden:

- Die Summe der Extremteile (A+A=96 Takte) entspricht der Goldenen Zahl in Bezug auf die komplette Fuge (156 Takte).
- Der mittlere Teil (B=60 Takte) entspricht der Anzahl von Gold im Verhältnis zu den beiden extremen Teilen (A+A=96 Takte).
- 60, 96 und 156 sind wiederum Vielfache (x12) der aufeinanderfolgenden Terme 5, 8 und 13 der Fibonacci-Folge.

Gleichzeitig haben alle Theorien, die sich auf die Zahl φ beziehen, eine große Anzahl von Bewunderern und Verächtern gleichermaßen hervorgerufen. Es bleibt dem Leser überlassen zu entscheiden, ob die Schönheit dieser Fuge tatsächlich auf diese heilige Proportion zurückzuführen ist, ob es sich um einen bloßen Zufall handelt oder ob es sich um eine verworrene Theorie handelt, die versucht, die erhabene Musik von J.S. Bach durch mathematische Wissenschaft zu rechtfertigen.

Al Número Áureo o Divina Proporción

A ti, maravillosa disciplina
media, extrema razón de la hermosura,
que claramente acata la clausura
viva en la malla de tu ley divina.

A ti, cárcel feliz de la retina,
áurea sección, celeste cuadratura, 
misteriosa fontana de mesura
que el Universo armónico origina.

A ti, mar de los sueños angulares 
flor de las cinco formas regulares,
dodecaedro azul, arco sonoro. 

Luces por alas un compás ardiente. 
Tu canto es una esfera transparente. 
A ti, divina proporción de oro.

Rafael Alberti (1902-1999)
Translated by Caroline L. Tipton.

To the Golden Number or Divine Proportion...

To you, amazing discipline
Ratio; source of beauty without flaws
revering the rich life cloisters within 
the armoned confines of your secret law. 

To you, the retina ́s beatific jail, 
Golden section,squaring up to scale 
Mysterious wellspring of modernation 
That gives rise to harmonious creation.

To you, ocean of angulated dreams 
Flower of the five regular forms
Blue dodecahedron, sohorous are

You spark akindled compass with your wings 
Clear sphere in the song your theorem sings.
To you, divine proportion, gold form dark.

Bohuslav Martinů schrieb seine erste und einzige Sonate für Flöte und Klavier H.306 im Sommer 1945 auf Cape Cod (Massachusetts), wo er eine Woche Urlaub machte. Dank der Memoiren seiner Frau Charlotte Quennehen sind die persönlichen und gefühlsmäßigen Umstände des Komponisten zu dieser Sonate bekannt: Beide haben einen verletzten Vogel, einer Art, die im Volksmund "Whip-poor-will" genannt wird, aufgelesen. Nachdem er wieder gesund gepflegt wurde, erlangte das Tier seine Freiheit zurück aber kehrte jede Nacht zurück, um am Fenster des Hauses zu singen. Dieser Gesang des Vogels ist in der Sonate integriert.

Das Allegro moderato beginnt mit einer sanften Klaviereinleitung, die das Hauptthema ankündigt, welches dann in die Flöte übergeht. Im Mittelteil übernimmt das Klavier wieder die Führung mit Oktaven und sehr rhythmischen Akkorden. Der Autor beschwört mehrfach den Gesang des besagten Vogels. Der Satz entwickelt sich in einer Atmosphäre von Leuchtkraft und sanfter Unbekümmertheit, mit interessanten Polyrhythmen und Gegenrhythmen, die in der Sprache des Komponisten häufig vorkommen.

Das folgende Adagio präsentiert eine lange und zarte Melodie mit einer zentralen Durchführung in der Flötenstimme.

Die Harmonie verschmilzt zu einer intimen Gelassenheit, deren intensiver Ausdrucksgehalt über der rein funktionalen Rolle der Akkorde ruht.

Der dritte und letzte Satz, Allegro poco moderato, kontrastiert kraftvoll mit der Stimmung des zweiten Satzes. Auch hier finden wir Motive, die an Vogelgezwitscher erinnern (wie das Thema des Satzes selbst), zusammen mit tschechischen Folkloreelementen. Die Sonate endet in einer leuchtenden Weise, wie eine Hymne an die Natur.

Der Vogel ist in diesem Fall derjenige, der uns in die Welt der Fantasie entführt. Der "whip-poor-will" ist Teil der amerikanischen Volksvorstellung geworden und hat sich zu einem Symbol des ländlichen Amerikas entwickelt. Die Tatsache, dass er ein nachtaktiver Vogel ist, zusammen mit seinem eigenartigen Gesang, hat ihn zum idealen Kandidaten gemacht, um der Protagonist mehrerer Legenden zu sein, die ihn mit dem Unbekannten, dem Geheimnisvollen verbinden. Die am weitesten verbreitete, wahrscheinlich von einem indianischen Glauben geerbte, ist ihre Eigenschaft als Psychopomp oder Seelenträger ins Jenseits. Es wird gesagt, dass er die Seele, die den Körper verlässt, spüren kann und sie im Flug auffängt.

Die seltsamen Vorkommnisse, die mit Whippoorwills in Verbindung gebracht werden, scheinen bis in die Mohegan-Kultur zurückzugehen. Dieser Stamm glaubte, dass Makiawisug, oder magische Waldbewohner, sich in Whippoorwills verwandeln konnten, um durch den Wald zu reisen. Die Makiawisug galten als meist wohlwollende Naturgeister, aber man glaubte, dass sie die Macht hatten, unsichtbar zu werden und dass sie sehr gefährlich waren, wenn man sie nicht respektierte. Außerdem bedeutete das Mohegan-Wort für Whippoorwill auch "kleines Kind". Die kleinen Kinder dieser Kultur wurden mit dem Grenzbereich zwischen Leben und Tod verbindet, da dieser Stamm eine sehr hohe Kindersterblichkeitsrate hatte.

Sie wird in verschiedenen Werken der amerikanischen Literatur erwähnt, immer mit einer magischen oder geheimnisvollen Komponente. 

“it was almost dawn, the night almost over. He could tell that from the whippoorwills. They were everywhere now among the dark trees below him, constant and inflectioned and ceaseless, so that, as the instant for giving over to the day birds drew nearer and nearer, there was no interval at all between them. He got up. He was a little stiff, but walking would cure that too as it would the cold, and soon there would be the sun. He went on down the hill, toward the dark woods within which the liquid silver voices of the birds called unceasing - the rapid and urgent beating of the urgent and quiring heart of the late spring night. He did not look back.”

William Faulkner (1897-1962)
Barn Burning. 1939

 

“The whippoorwill is coming to shout    
And hush and cluck and flutter about:   
I hear him begin far enough away         
Full many a time to say his say  
Before he arrives to say it out”

Robert Frost (1874–1963).  
A Boys Will. 1915.Ghost House

 

 

Die beiden Werke, die den zweiten Teil des Rezitals bilden, stehen näher an der Tradition der europäischen Märchen.

Das Mittelalter erweckte in der Romantik ein Interesse, dass wir in architektonischen, literarischen und musikalischen Werken verkörpert finden. Der Mythos der Nymphe Undine (ein Fabelwesen, das die Gewässer der Bäche und Seen bewohnt und sich in einen Sterblichen verliebt) oder der unmöglichen Liebe ist ein uraltes Thema, dass in Norddeutschland eine Blütezeit erlebte und Anlass zu vielen literarischen und musikalischen Werken gab. Hans Christian Andersen schrieb sein berühmtes Märchen Die kleine Meerjungfrau (1835) und Frédéric de la Motte-Fouqué seinen Roman Undine (1811). Letztere inspirierte Karl Reinecke zu seiner Sonate Undine für Flöte und Klavier op.167. 

Der Text erzählt von den Abenteuern eines aus der mitteleuropäischen Kinderliteratur bekannten Wesens. Undine, die Tochter des Meereskönigs, verlässt ihre Umgebung, um die menschliche Liebe zu suchen und dadurch eine unsterbliche Seele zu erhalten. Sie wird als Kind an Land von einem Fischer und seiner Frau aufgezogen. Als sie heranwächst, findet sie die Liebe zu dem Ritter Huldbrand von Ringstetten, den sie bald heiratet. Selbst nachdem er von der wahren Natur seiner Frau erfahren hat, schwört Huldbrand ihr unsterbliche Liebe. 

Du sollst wissen, mein süßer Liebling, daß es in den Elementen Wesen gibt, die fast aussehen wie ihr und sich doch nur selten vor euch blicken lassen. In den Flammen glitzern und spielen die wunderlichen Salamander, in der Erden tief hausen die dürren, tückischen Gnomen, durch die Wälder streifen die Waldleute, die der Luft angehören, und in den Seen und Strömen und Bächen lebt der Wassergeister ausgebreitetes Geschlecht. In klingenden Kristallgewölben, durch die der Himmel mit Sonn und Sternen hereinsieht, wohnt sich's schön; hohe Korallenbäume mit blau und roten Früchten leuchten in den Gärten; über reinlichen Meeressand wandelt man und über schöne, bunte Muscheln, und was die alte Welt des also Schönen besaß, daß die heutige nicht mehr sich dran zu freuen würdig ist, das überzogen die Fluten mit ihren heimlichen Silberschleiern, und unten prangen nun die edlen Denkmale, hoch und ernst, und anmutig betaut vom liebenden Gewässer, das aus ihnen schöne Moosblumen und kränzende Schilfbüschel hervorlockt. Die aber dorten wohnen, sind gar hold und lieblich anzuschauen, meist schöner als die Menschen sind. Manch einem Fischer ward es schon so gut, ein zartes Wasserweib zu belauschen, wie sie über die Fluten hervorstieg und sang. Der erzählte dann von ihrer Schöne weiter, und solche wundersame Frauen werden von den Menschen Undinen genannt. Du aber siehst jetzt wirklich eine Undine, lieber Freund.”

Undines Onkel, Kühleborn, erscheint, um sie an die Gesetze der Wasserwelt zu erinnern und warnt sie vor ihrer menschlichen Liebe: Sollte Huldbrand sie jemals verraten, muss sie für immer ins Meer zurückkehren und er muss sterben. Ihr gemeinsames Leben ist glücklich, bis Bertalda, Huldbrands alte Freundin, eindringt und die Idylle stört. Huldbrand kehrt zu seiner alten Liebe zurück und macht Undine unglücklich, die in die Wasserwelt zurückkehrt. Damit ist das Schicksal der beiden besiegelt: Die Wassergeister fordern ihre Rache und es muss Undine selbst sein, die Huldbrand mit einem tödlichen Kuss tötet.

Bebend vor Liebe und Todesnähe neigte sich der Ritter ihr entgegen, sie küßte ihn mit einem himmlischen Kusse, aber sie ließ ihn nicht mehr los, sie drückte ihn inniger an sich und weinte, als wolle sie ihre Seele fortweinen. Die Tränen drangen in des Ritter Augen und wogten im lieblichen Wehe durch seine Brust, bis ihm endlich der Atem entging und er aus den schönen Armen als ein Leichnam sanft auf die Kissen des Ruhebettes zurücksank.”

Die Sonate von Karl Reinecke steht in der dramatischen Tonart e-Moll.

Das eröffnende Allegro präsentiert die Handlung in einer wässrigen Atmosphäre, die durch die Arpeggien des ersten Themas suggeriert wird, dem sich das zweite Thema anschließt, in der Art von Undines Liebeslied. Die Kaskaden von Sechzehntelnoten zeichnen die wogenden Empfindungen des Wassers, mit Momenten bedrohlicher Spannung.

Das Intermezzo im Tempo Allegretto vivace, ist als A-B-A-C-A aufgebaut. Abschnitt A stellt die Aufregung und Unruhe dar, die durch die Liebe von Undine und Hulbrand hervorgerufen wird. B ist eine Episode in G-Dur des Soloklaviers, in der die Liebe gleichgültig gegenüber der Angst zu sein scheint; und C, in B-Dur, präsentiert ein neues Thema, süß und zart im Charakter, das erst in der letzten Phrase des Werkes wieder auftauchen wird. 

Im Andante tranquillo führt uns der Komponist zurück in die Idylle des Paares, mit einem liebevollen Charakter, der plötzlich von einer wirbelnden Molto vivaceEpisode unterbrochen wird, in der Art einer tragischen Vorahnung mit dem Erscheinen von Kuhleborn, der an die Bedingungen von Undines Ehe erinnert, bevor er zur ruhigen Atmosphäre des Satzanfangs zurückkehrt.

Im Finale, Allegro molto agitato ed appassionato, quasi Presto, treffen die Liebe und die sich bereits abzeichnende Tragödie aufeinander, als ob sich ein vorherbestimmter Fluch erfüllen würde, ganz im Sinne der romantischen Idee des Schicksals. Undines Unglück, die raue See und der schicksalhafte Tod Hulbrands sind darin vereint.

Überraschend für eine romantische Sonate folgt auf den Höhepunkt die Ruhe, die zur Wiederaufnahme des Themas C des 2. Satzes in ppp-Nuance führt, wie bei einem emotionalen und rätselhaften Abschied.

Basierend auf der Handlung des Romans Undine wurden mehrere Musikwerke und mindestens vier Opern geschrieben: Rusalka von Anton Dvořák, Undine von dem Pianisten Pierre Sancan und mit dem gleichen Namen komponierten E.T.A. Hoffmann und Albert Lortzing Musikwerke, die beide zum Genre der deutschen Nationaloper gehören.

Die deutsche romantische Oper versuchte, "nationalen" Stoff im Bereich der Natur und der Mythologie zu finden. Wie bei Undine finden wir auch in Der Freischütz die metaphorische Verbindung zwischen magischen Wesen und dem Deutschen Wald. Der Text der Oper basiert auf einer Sage aus dem Gespensterbuch von Johann August Apel und Friedrich Laun, die von einem Jäger handelt, der einen Pakt mit dem Teufel Samiel schließt, um sieben magische Kugeln zu erhalten, die immer treffen. Doch am siebten Tag muss der Jäger seine Seele an Samiel übergeben, es sei denn, er hat in der Zwischenzeit ein anderes Opfer für den Teufel gefunden. Für jedes neue Opfer wird sein Leben verlängert und er erhält eine neue Ladung Kugeln.

Auch 200 Jahre nach der Berliner Uraufführung bleibt Carl Maria von Webers Der Freischütz ein Maßstab der deutschen romantischen Oper. Weber ärgerte sich über die europäische Vorherrschaft von Rossinis italienischen Opern und versuchte, einen eigenständigen deutschen Opernstil zu etablieren. Der Freischütz war sein Meisterwerk, das von vielen als die erste deutsche romantische Nationaloper angesehen wird, denn Weber verwendete darin musikalische und dramatische Themen aus der germanischen Folklore. Von den ersten Takten der Ouvertüre an ist klar, dass die Geschichte in den Urwäldern Böhmens spielt. Max ist ein Jäger, der in Agathe verliebt ist und befürchtet, sie bei einem Schießwettbewerb zu verlieren. Deshalb folgt er dem bösartigen Rat von Kaspar (dessen Seele dem Teufel Samiel gehört) und geht einen Pakt mit dunklen Mächten ein. Er ist im Laufe des Stückes gefangen zwischen Gut und Böse, zwischen Agathes reiner und unschuldiger Liebe und seinem Pakt mit dem Schwarzen Jäger Samiel. 

Der Höhepunkt der Oper ist die Szene in der Wolfsschlucht, in der der Held Max einen Handel mit Samiel abschließt. Max ist mit Goethes Faust verwandt, verkörpert aber als unerfahrener Mann eine andere dämonische Dimension des menschlichen Wesens. Er sucht das Böse nicht, er lässt es zu. Er schließt den Pakt mit dem Teufel und gibt damit den dämonischen Kräften die Kontrolle.

 

Ha! Furchtbar gähnt 
Der düstre Abgrund, welch ein Graun! 
Das Auge wähnt 
In einen Höllenpfuhl zu schaun! 
Wie dort sich Wetterwolken ballen, 
Der Mond verliert von seinem Schein! 
Gespenst'ge Nebelbilder wallen, 
Belebt ist das Gestein! 
Und hier, husch, husch, 
Fliegt Nachtgevögel auf im Busch! 
Rotgraue narb'ge Zweige strecken 
Nach mir die Riesenfaust! 
Nein! Ob das Herz auch graust, 
Ich muß! Ich trotze allen Schrecken! 

 

Die Erlösung erscheint im letzten Akt durch den Eremiten, eine als heilig und weise verehrte Figur. Er kommt aus dem Wald und zeigt sich gegen den Schießwettbewerb, der einen guten jungen Mann in die Hände des Bösen gebracht und das Unglück über die Liebenden gebracht hat.

 

Leicht kann des Frommen Herz auch wanken 
Und 
überschreiten Recht und Pflicht, 
Wenn Lieb' und Furcht der Tugend Schranken, 
Verzweiflung alle Dämme bricht. 
Ist's recht, auf einer Kugel Lauf 
Zwei edler Herzen Glück zu setzen? 
Und unterliegen sie den Netzen, 
Womit sie Leidenschaft umflicht, 
Wer höb' den ersten Stein wohl auf? 
Wer griff' in seinen Busen nicht? 
Es finde nie der Probeschuß mehr statt! 

 

 

Paul Taffanel, Begründer der französischen Flötenschule, komponierte 1876 seine Fantasia für Flöte und Klavier über Der Freischütz. Es beginnt mit einer Klaviereinleitung, die Material aus dem Rezitativ vor der Arie Durch die Wälder, durch die Auen sowie das Thema der Ouvertüre verwendet. Es geht weiter mit einem Adagio mit der Melodie der Arie, die Agathe in einer berühmten Mondscheinszene singt, Leise, leise, fromme Weise. Es endet mit einem Thema mit Variationen über Kommt ein schlanker Bursch gegangen, ursprünglich gesungen von der Figur des Aennchen.

Dieses Werk gehört zum meistgespielten Flötenrepertoire und gilt als eines der besten romantischen Stücke für das Instrument.

Mystik, Magie und Fantasie haben seit jeher die Fantasie der Künstler beflügelt. Deshalb ist dieses Programm mit den Fotografien von Jose Castro illustriert (www.jcastrofoto.com), die durch die Musik und die Geschichten dieses Konzerts hervorgerufen werden. Mein aufrichtiger Dank für seine inspirierende Fotobericht.

 

 

Marta Femenía